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Igitt, solch ein mickriger Buchstabe! Ohne das e ist der doch gar nichts wert. Das ist ja noch viel weniger als ein Strich. Den übersieht man doch ganz. Nein, einfach nur ein i zu schreiben, wäre ganz und gar unsinnig. Vor allen Dingen: Das sieht ja überhaupt nicht schön aus. Ich glaube, die Schreiber haben das früher auch so gesehen. Sie wollten die Wörter mit i irgendwie größer machen. Und mit dem e dahinter sieht dieser mickrige Buchstabe doch direkt viel schöner aus.
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Recht hat Herr Schön! Solch ein kleiner Buchstabe geht im Wort einfach viel zu schnell verloren. Mein Team war mit dieser Antwort jedenfalls zufrieden.
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Bis auf Herrn Alt:
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Aber warum, lieber Herr Kollege, haben die Leute früher das e genommen?
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Ja, was hätten sie denn sonst nehmen sollen? Vielleicht ein h ? Nein, das ist doch viel größer. Dahinter würde das i glatt verschwinden. Die Leute waren früher schon klug. Sie haben einen Buchstaben genommen, der nicht größer und nicht kleiner, sondern einfach nur breiter ist als das mickrige i .
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Auf diese Antwort von Herrn Schön folgte zustimmendes Murmeln. Herr Alt runzelte die Stirn. Dann zog er sich schmunzelnd zurück.
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Zwei Tage lang vergrub er sich hinter seinen dicken alten Büchern und ließ sich von niemandem stören.
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Lieber Herr Schön! Ich widerspreche Ihnen ja nur ungern. Ihre Geschichte zum ie ist auch wirklich schön. Aber ich glaube, sie stimmt nicht ganz
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Es gibt ganz viele Wörter, die wir heute mit ie schreiben, die kannten schon die Germanen. Die lebten bereits vor 2500 Jahren hier. Sie sind also unsere direkten Vorfahren ...
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Nun erzählen Sie schon etwas zu dem ie . Wir wissen, dass wir alle von den Germanen abstammen. Deshalb heißt Deutschland in England ja auch Germany
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Frau Fremd war schon ganz ungeduldig, wie immer, wenn Herr Alt zu einer langen Vorgeschichte ausholt.
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germanisch
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heute
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*beuga
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biegen
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*beuda
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bieten
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*fleuga
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fliegen
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*fleuha
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fliehen
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*geuta
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gießen
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*skeuba
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schieben
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*skeuta
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schießen
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*sleuta
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schließen
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*teuha
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ziehen
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Also gut! Ich habe für einige Wörter die alten germanischen Übersetzungen herausgesucht. Hier ist eine Liste:
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Kannst du die Wörter lesen? Was fällt dir auf? Wie haben die Germanen unser ie geschrieben? Und wie haben sie es gesprochen? – Nein, eben nicht so, wie wir heute den Doppellaut eu in Wörtern wie Leute, Beute oder Eule sprechen. Sie haben zwischen dem e und dem u eine kleine Pause gemacht. Fragt einmal eure Religionslehrerin oder euren Religionslehrer, wie der lateinische Name für Gott lautet. Sie oder er wird „de us“ sagen und dabei die beiden Vokale einzeln sprechen. Genauso sprachen auch die Germanen. Sie sprachen die Wörter:
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be_ug-a, be_ud-a, fle_ug-a, fle_uh-a, fle_ut-a
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Kannst du die Wörter so sprechen, wie die Germanen es taten?
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Schön, sehr schön! Dass die Germanen früher anders gesprochen haben, das weiß ja jedes Kind. Das heißt doch noch gar nichts.
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Nun holte Herr Alt einen zweiten Zettel aus seiner Tasche:
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germanisch
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750-1050
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1050-1350
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heute
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*be uga
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bi ogan
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bi egen
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biegen
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*be uda
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bi otan
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bi eten
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bieten
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*fle uga
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fli ogan
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vli egen
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fliegen
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*fle uha
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fli ohan
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vli ehen
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fliehen
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*ge uta
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gi ozan
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gi ezen
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gießen
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*ske uba
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sci oban
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schi eben
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schieben
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*ske uta
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ski ozan
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schi ezen
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schießen
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*sle uta
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sli ozan
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sli ezen
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schließen
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*te uha
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zi ohan
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zi ehen
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ziehen
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So sprachen - und schrieben - die Leute vor 1000 Jahren (althochdeutsch) und so vor rund 700 (neuhochdeutsch) Jahren. Nun?
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Fragend schaute er sich um.
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Ich habe zwischen den Vokalen eine kleine Lücke gelassen. Denn ganz lange Zeit, bis zum Ende des Mittelalters, sprach man die Vokale getrennt, so wie bei „Famili e“ oder „Etu i“ oder „Ru ine“. Auch bei diesen Wörtern werden Vokale getrennt gesprochen.
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Lies einmal die Wörter, so wie sie vor 1000 Jahren und wie sie vor 700 Jahren gesprochen wurden.
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Kannst du erkennen, welche Buchstaben sich geändert haben?
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Richtig! Zuerst wurde aus dem e ein i und aus dem u ein o. Später änderte sich das o noch einmal. Vor rund 700 Jahren wurde es wie ein e gesprochen.
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Nachdem Herr Alt seine Wörterlisten gezeigt hatte, war es in der Runde meines Rechtschreibteams ganz still geworden. Frau Laut stöhnte:
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Oh je! Dann ist das ursprünglich ja gar kein Dehnungs-e.“
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Jetzt müssen meine ganzen Schulbücher neu geschrieben werden.
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Nein, nein, nicht so schnell liebe Frau Laut. Außer uns weiß das doch keiner!
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Aber dann hatte Herr Alt für seine Kolleginnen und Kollegen noch eine ganz interessante Aufgabe:
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Hier folgt die Antwort von Herr Wort
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